Helfen Antibiotika gegen Depressionen?

Diese Anfrage wurde von einer Patientin vor einiger Zeit an mich herangetragen. Mein erster Reflex: Ein klares Nein! Denn gerade Antibiotika sind es, die in Verdacht stehen, als Nebenwirkung Depressionen auslösen zu können. Aber irgendwie machte mich die Frage neugierig und ich recherchierte.

 

Minocyclin

Und tatsächlich fand ich einen Hinweis darauf, dass eventuell dieses Antibiotikum (das sonst zur Langzeittherapie bei Hauterkrankungen z.B. der Akne inversa eingesetzt wird) Menschen helfen kann, bei denen bislang jedes andere Antidepressivum eben nicht geholfen hat.

In der Fachliteraturrecherche findet sich leider keine aussagekräftige Studie. Aber derzeit wird, unter der Leitung der berliner Charite, an 6 psychiatrischen Zentren in Deutschland genau diese Frage untersucht. Die Studie läuft noch bis in das nächste Jahr hinein, untersucht werden 160 Patienten, bei denen die Standardtherapie nicht gegriffen hat. Diese Minocyclin-Gruppe wird verglichen mit einer weiteren Gruppe Patienten, die Plazebo einnehmen. Und wie es bei medizinischen Studien üblich ist, wissen weder Ärzte noch Patienten vor Ort, wer welchen Wirkstoff bekommt – die Ergebnisse werden in Berlin zusammengefasst und erst mit Auswertung (wahrscheinlich in 2019/20) kann dann beurteilt werden, ob Minocyclin einen Effekt auf die sog. Therapieresistente Depression hat. Zunächst wird Minocyclin nicht anstelle, sondern in dieser Studie zusätzlich zur jeweiligen Medikation mit Citalopram, Mirtazapin, Venlafaxin gegeben. Die Studie ist über 4 Jahre angelegt und soll 2019 abgeschlossen sein – bis dahin wird sie übrigens ca. 1 Mio. Euro gekostet haben!

 

Wirkweise

In einem Spiegel-Artikel (bereits aus 2015: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/depression-wie-entzuendungen-depressionen-ausloesen-a-1026767.html) findet sich der Ansatz einer Erklärung:

Oft sind es entzündliche Prozesse u.a. im Kopfbereich, die für viele Symptome einer Depression verantwortlich sind. So sind es oft chronische Nasennebenhöhlenentzündungen, vereiterte Zahnwurzeln, chronische Mandelentzündungen die denn Körper Kraft kosten und oft (nach Jahren) zur Erschöpfung führen – das ist soweit nichts neues. Jeder Patient sollte daher (vor Beginn einer antidepressiven Therapie) entsprechend untersucht werden – in unserer Praxis zunächst mit einer Blutabnahme und bei hinreichend Verdacht auch mit zusätzlichem MRT/CT.

Aber nicht nur solche begrenzten chronischen Entzündungen führen eventuell zur Depression, sondern auch Erkrankungen, die den ganzen Körper betreffen. Und bei diesen Erkrankungen sind es vor allem Rheumapatienten, die sehr oft unter einer (zumindest leichten ) Depression leiden. Und, wen überrascht es, auch Rheuma gehört zu den entzündlichen Erkrankungen, genauso wie die Sarkoidose, multiple Sklerose und viele weitere andere Erkrankungsbilder!

 

Interleukin 6

Interleukin 6 (IL-6)  ist ein körpereigener Botenstoff, der bei entzündlichen Prozessen jeglicher Art das Immunsystem aktivierend stimuliert. Forscher aus Deutschland konnten nachweisen, dass dieser Botenstoff eben nicht nur im Blut, sondern auch in den Liquor übertritt und damit die natürliche Barriere des Gehirns (die sog. Blut-Hirn-Schranke) überwindet. Natürlich gibt es auch im Gehirn Zellen des Immunsystems, die durch IL-6 entsprechend zur Aktivität angeregt werden. Das Immunsystem benötigt bei anhaltender Aktivität neben Glukose (Blutzucker) auch viele Spurenelemente, die im Körper auch für andere Prozesse benötigt werden und entzündungsbedingt fehlen. Möglicherweise erklärt sich auf diesem Weg, warum einige depressiv erkrankte Patienten an Schilddrüsenunterfunktionen leiden. (Mehr unter https://www.wissenschaft-frankreich.de/de/gesundheit-und-medizin/depressionen-und-entzuendungen-besteht-ein-zusammenhang/)

Minocyclin selbst reduziert die Konzentration dieser vermittelnden Gewebshormone (u.a. IL-6), greift zusätzlich in den Stoffwechsel des Vitamin A ein, ein Vitamin, dass entzündungshemmend wirkt, im Körper aber recht schnell verbraucht / abgebaut wird. Das ist auch gut so, denn Vitamin A ist ein fettlösliches Vitamin, wird daher im Gewebe gespeichert und nicht (bei Überversorgung) in der Niere ausgeschieden. In hohen Konzentration wirkt Vitamin A gewebeschädigend – insbesondere die Leber ist betroffen! Das Medikament verringert Abbauprozesse und erhöht damit die Vitamin A Konzentration in den Zellen des Immunsystems, wirkt also sozusagen zweifach.

Vitamin A wirkt aber vor allem antientzündlich, u.a. durch Verringerung der IL-6 Konzentration.

 

Was kann noch helfen?

Einzelne Studien haben auch positive Effekte von anderen Entzündungshemmern auf die Depression nachgewiesen. Insbesondere scheinen ASS und Ibuprofen einen positiven Nutzen zu haben. Allerdings ist eine längere Einnahme mit dem hohen Risiko eines Magengeschwüres (ASS) bzw. negativen Auswirkungen auf Herz-Kreislauf (Ibuprofen) und chronischen Kopfschmerzen (Ibuprofen) vergesellschaftet.

 

Fazit

Insgesamt ist es erfreulich, dass wieder auf dem Gebiet der Depression geforscht wird und andere Substanzen in den Fokus rücken. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Vermutungen bestätigen. Ergebnisse der derzeitigen Untersuchung sind frühestens 2019/20 zu erwarten. Derzeit ist eine Therapie (auch als individueller Versuch) nicht zu Lasten der Krankenkassen möglich, auch im Selbstzahlerbereich reichen die Erfahrungen nicht aus – derzeit steht der Nutzen in keiner Relation zu den eventuellen (noch nicht bekannten) Nachteilen. Ein kurzfristiger Selbstversuch mit ASS (1x100mg tgl.) oder Ibuprofen (3x400mg tgl.) kann zusätzlich zur antidepressiven Medikation in Erwägung gezogen werden – sollte aber bei nicht Anschlagen nach 2 Wochen wieder beendet werden, um nicht die längerfristigen Nebenwirkungen der Substanzen in Kauf nehmen zu müssen!